Dienstag, 19. Oktober 2010

Die Wäscheklammer, das Audimax und der isländische Frühling

Wir sitzen in meiner Küche zusammen. Vor uns ein paar Dosen dänisches Faxe und eine Packung Chips. Biene (Anm.: Bobs Freundin, die gerade zu Besuch war) greift hinein; findet zu ihrer Verwunderung keine schmalzig, goldene Kartoffeldegeneration sondern eine ...

Wäscheklammer.

Sie ist aus Holz. Alles ganz natürlich. Wir lachen darüber. Behaupten die Firma hätte eine unglaublich innovative Technologie zum Wiederverschließen der Chips-Packung beigefügt. Und unterhalten uns weiter darüber welche Bands wir uns heute Abend am Airwaves (Anm.: Reykjaviks gröstes Musikfestival) anschauen wollen.

Unausgesprochen denke ich jedoch ununterbrochen an diese Wäscheklammer und wie sie in diese Chips-Packung gekommen ist. Welche Geschichte erzählt sie? Welche Zufälle haben sie dorthin gebracht? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit dafür? Ich stopfe noch eine Hand voll Knusperjunk in den Mund. Unweigerlich muss ich an die Worte des Reykjaviker Bürgermeisters Jón Gnarr denken: Er begrüßt die Leser des isländischen Grapevines mit folgenden Worten :

"Welcome to Reykjavik. The odds of you being here are not great. The greatest part of mankind is elsewhere."

Und da hat er verdammt Recht. Die Wahrscheinlichkeit hier zu sein ist tatsächlich nicht sehr groß. Ich kann mich noch vage daran erinnern als ich vor rund zehn Monaten ohne guten Grund Island als erste Wahl auf meinem ERASMUS-Formular angab. Ich kann mich noch gut erinnern wie ich nur wenige Tage vor der Deadline eine Pro- und Contra-Liste anfertigte; wie ich wirklich daran zweifelte ob es der richtige Moment sei weg zu gehen. Eigentlich ...

wäre es viel wahrscheinlicher mit hunderten Anderen im neuerlich besetztem Audimax zu sitzen. Mit Joel und Christoph die Vollversammlung der BOKU nachzubesprechen. Mich mit Birgit über die lustigen PolizistInnen zu unterhalten, die wir als Clowns auf der Demo bespielt haben. Mich mit Raphi und Mira inhaltlich auf die anstehende Fachstudienkommissionssitzung vorzubereiten. Mit Luna eine Runde um den Block zu spazieren und einen Abstecher zum U-Bahn-Kebap an der Währinger Strase zu riskieren.

Hätte ich mir diese Zeilen vor zwei Jahren vorgelesen hätte ich mir wohl auch gedacht "Hört sich nicht sehr wahrscheinlich an". Und dennoch wäre all das im Bereich des Möglichen. Des Wahrscheinlichen. Und jetzt? Sitze ich im Computerraum der Uni. Der Háskolí Íslands.

Denn auf Wahrscheinlichkeiten ist kein Verlass. Sie sagen nichts aus. Sie sind nicht dazu im Stande die Unberechenbarkeit des Lebens einzufangen. Sie rechnen nicht damit eine Wäscheklammer in einer Chips-Packung zu finden. Nur die Gegenwart ist wahrscheinlich. Sie ist so wahrscheinlich, dass sie sogar wahr sein könnte. Und leise flüster ich ihr ins Ohr:

"Guten Tag Frau Kluppe. Nett Sie kennen zu lernen. Ich glaube ich will mit Ihnen den isländischen Frühling verbringen."







1 Kommentar:

  1. Ach Klemens! :)
    So viele Menschen auch gestern bei der Vollversammlung waren, so viele bei der Demonstration mitgegangen sind, es hat einer gefehlt – und das warst du!

    Wahrscheinlich(!) wärst du allerdings weder im Audimax noch an der Dönerbude, sondern mit dem Christoph, der lieben Mira, die in der ZIB24 gesprochen hat und mir im ORF-Sendezentrum gelandet.

    Oder um es anders zu sagen: Wie wahrscheinlich ist es, um 23:50 im ORF-Newsroom Afer Eight zu futtern, wenn du morgens um 9 zur Türkenschanze gehst, um ein wenig Bildungspolitik zu betreiben? Ich kann deine Gedankengänge sehr gut nachvollziehen.

    Und diese Unwahrscheinlichkeiten, diese verrückten Zufälle, diese Wäscheklammern in Chipspackungen sind es, die das Leben so interessant machen. Ein Grund mehr, sie aufzuheben.

    lg
    joël

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